Rubens und die dicken Frauen

Essen, 14.01.2004. Organisierte Urlaube sind geil, wenn ich das mal so ganz pauschal sagen darf. Eine kleine frische Batterie ist manchmal aber noch wichtiger - zum Beispiel wenn man kurz vor seinem ersten Pauschalurlaub steht. Jedenfalls hat wohl unser Wecker genau in der Nacht vom 14. auf den 15. Dezember den Geist aufgegeben und dass wir trotzdem in Fuerteventura gelandet sind, haben wir lediglich dem leichten Schlaf von Mama zu verdanken. Den leichten Schlaf hat sie wiederum mir zu verdanken. Fazit: Ich habe also unseren Urlaub gerettet.

Trotzdem muss man schon ganz schön Chuzpe besitzen, wenn man erst 75 Minuten vor Abflug aufsteht " oder sollte ich schreiben, aufspringt, aufspurtet? An einen Windelwechsel war jedenfalls nicht mehr zu denken. Ich wurde im Schlafanzug in eine Decke gewickelt und fand mich etwa 15 Minuten später auf dem Düsseldorfer Flughafen wieder. Wir durften dann auch direkt an Bord gehen. Normalerweise soll man ja etwa zwei Stunden vor Abflug am Flughafen sein, um sich in aller Ruhe vor dem Urlaub noch mal mit dem Nötigsten, also Zigaretten, Alkohol, Designer-Klamotten und Toblerone-Schokolade, eindecken zu können. Oder ganz einfach, um sich ein wenig den aufregenden Flughafen selbst anschauen zu können.

Letzteres konnten wir dann trotz unserer Verspätung auch. Das Flugzeug hatte Probleme mit der Software, die aus unerklärlichen Gründen Probleme mit den Landeklappen anzeigte. Eine Stunde später erklärte sich der Softwarefehler dann doch: Die Landeklappen hatten tatsächlich ein Problem. Gut, dass wir während der ganzen Zeit schon in der kuscheligen Boeing saßen und die aufregende Fahrt quer über das Flughafengelände in die Werkstatt hautnah miterleben konnten. Als die Sonne dann aufgegangen war, konnten wir schließlich auch abheben.

Fliegen-will-gelernt-sein-Glen

Nach zwei Stunden Rollbahn, vier Stunden Flug und zwei Stunden Busfahrt sind wir dann - quasi im Handumdrehen " am Hotel angekommen. Und hierzu muss ich mal ganz ironiefrei sagen: Der Service dort war spitze! Meine Eltern hatten Halbpension gebucht, ich hatte "All inklusive". Dazu noch eine Woche Babysitter-Dienst. Opa und Oma waren nämlich anfangs auch vor Ort. Und ganz viele lustig angezogene Kellner, mit denen man sich prima gegenseitig erheitern konnte. Mein Liebling war Alonso, den Papa nur Rubens nannte, weil er wohl sehr starke Ähnlichkeit mit einem bekannten brasilianischen Formel 1-Rennfahrer hatte.



Papas Lieblinge waren die Animateure, die jeden Tag um 16 Uhr eine Runde Bingo mit den Touris spielten. Gestählt durch zahlreiche Bingo-Runden unter Profi-Bedingungen auf Malta, war es nur eine Frage der Zeit, bis er mit dem Hauptpreis, einem großen Frottee-Badetuch, zurück ins Hotelzimmer kam. Was allerdings auch für meinen Papa neu war: Die "88" wird unter spanischen Bingo-Spielern "die zwei dicken Frauen" genannt. "die schärfste Zahl" wussten alle, es geht um die "69". Da soll sich jeder seinen eigenen Reim drauf machen.

Ansonsten hatte der Urlaub eine wunderbare Struktur, die ja für Babys sehr wichtig sein soll. Vor dem Frühstück ging es runter zum Strand, ein bisschen mit den Füßen im Meer planschen. Nach dem Frühstück folgte dann ein Strandspaziergang mit Abstecher in eine kleine Bar. Zurück im Hotel war anschließend leichtes Ausruhen angesagt, bevor es wieder an den Strand und ins Meer ging und von dort dann an und in den Hotel-Pool. Während Papa dann auf die "dicken Frauen" wartete, genehmigte ich mir ein kleines Nachmittagsschläfchen. Kurz darauf war dann auch schon Zeit fürs Abendessen. Zum Abschluss sind meine Eltern dann hin und wieder noch in die Bar zu Rubens, während Oma aufpasste, dass ich Augen und Mund geschlossen hielt. Manche Leser mögen nun einwenden: "Das war aber ein extrem ereignisloser Urlaub". Meine Eltern würden dem entgegnen: "Gott sei Dank!"

Eins ist dann aber doch noch passiert: Am 1. Weihnachtstag habe ich mir spontan überlegt mit dem Krabbeln anzufangen. Obwohl, mich erinnert das, was ich da tue noch nicht so sehr ans Krabbeln. Eher fallen mir dazu Bilder aus Palästinenser-Trainingscamps ein, wo die Leute unter einem Haufen Stacheldraht herumrobben. Wenn ich jedenfalls gewusst hätte, wie schnell man über diese Art der Fortbewegung an interessante Ort mit noch interessanteren herausnehmbaren oder umstoßbaren Sachen kommt, hätte ich schon viel früher damit angefangen.

Jetzt muss ich diese Geschichte erst mal entschärfen und an "leben & erziehen" schicken. Die würden meine Urlaubserlebnisse auch gerne veröffentlichen und da will ich natürlich nicht Nein sagen.

Bis demnächst!

Glen


Mein erster Wille

Essen, 14.02.2004. Mama hat gewonnen. Sie wird von mir gerufen. Jetzt muss ich mir nur noch was Tolles für Papa einfallen lassen. Er ist schon sehr geknickt, dass ich nicht Papa-brabbelnd hinter ihm herrobbe. Aber irgendwann musste ich mich halt mal entscheiden, welcher Elternteil mir wohl eine erste gezielte Ansprache mehr dankt.

Vielleicht liegt es auch daran, dass ich Papa in letzter Zeit so wenig sehe. Ich habe mir den Spaß gemacht und bin mit Mama mal gucken gefahren, was der Alte so macht, wenn er sich nicht um mich kümmert. Und was sehe ich? Der steht da mit so einem alten Mann auf einer Bühne und sieht irgendwie komisch aus mit seiner Brille, dem Papphut und der Clownsnase. Im Zoo habe ich schon erfolgreichere Versuche miterlebt, wie man sich zum Affen macht. Dementsprechend habe ich das in der mir eigenen Sprache kommentiert und denke, dass ich meinem Erzeuger in punkto Theater kaum nacheifern werde.

Obwohl mir mittlerweile schon von verschiedener Seite ein schauspielerisches Talent bescheinigt wurde. Ich kann zum Beispiel so tun, als ob ich völlig vertieft in ein Bilderbuch bin. Das schafft Vertrauen und gibt meinen Eltern die Sicherheit, mich für ein paar Minuten mal aus den Augen lassen zu können. Und dann aber nix wie los zum nächsten Regal oder zur nächsten Schublade oder Mehrfachsteckdose. Alle anderen Steckdosen sind ja in letzter Zeit mit so dummen Verschlüssen versehen worden. Es wird einem wirklich nicht leicht gemacht.

Frühe Schauspielversuche. Teil 1: Robert Redford

Schön, wenn es dann noch Menschen gibt, die einen wirklich lieb haben. So wie Wille aus Berlin. Der hat uns neulich besucht und mir ein geklauftes Janosch-Buch geschenkt. Und einen richtig kuscheligen Teddybären für meine Sammlung. Alle meine Teddys haben Namen, die etwas mit dem Schenker zu tun haben oder " wenn sie von meinen Erzeugern gekauft wurden " auf andere Geschichten Bezug nehmen. So habe ich beispielsweise einen Eisbären namens "Der warme Nils" und einen Teddy "Rüdi", weil der in China hergestellt wurde und ich einen Rüdi kenne, der dort antike Bilderrahmen produziert. Willes Teddy habe ich schlicht "Wille" getauft, weil mich Wille aus Berlin, wann immer es mein Wille war, an seinen Händen durch die Wohnung hat spazieren lassen.

Seit dem sind schon wieder zwei Wochen vergangen und mittlerweile beherrsche ich schon das eigenständige Aufrichten durch Inanspruchnahme fest stehender Gegenstände und das einhändig abgesicherte Laufen. Am Valentinstag ist dann auch endlich mein erster Zahn ausgebrochen, beziehungsweise in der Nacht zum Valentinstag, wie meine augenberingte Mama gerne bestätigen wird. Meine Entwicklung " das kann ich ganz ohne einen Anflug von Selbstverliebtheit sagen - ist momentan fast so rasant wie die eines Fotolabors mit Stundenservice. Nur, dass ich dabei die ein oder andere Beule abbekomme. Parkettboden ist glatt und hart.

Für alle Liebhaber gut recherchierter Elternzeitschriften noch folgende Information: Meine nächste Glosse für "leben & erziehen" wird voraussichtlich in der Juni-Ausgabe " also Mitte Mai " erscheinen. Über weitere Veröffentlichungen wird gemunkelt und möglicherweise beim nächsten Mal die Rede sein.


Bis demnächst!

Glen


Iren sind menschlich

Essen, 19. März 2004. Mein lieber Scholli! So eine Grippe mit anschließender Kotzeritis kann einen jungen Körper ganz schön zurückwerfen. Und meine Eltern entlasten, mussten sie doch mal für ein paar Tage nicht ständig mit mir durch die Wohnung laufen. Stattdessen gab es mal zur Abwechslung Couching und Kuscheln.

Aber warum in Erinnerungen schwelgen? Die Zukunft liegt auf den Malediven! Eigentlich hatte die Familie ja vor im Mai nach Ir- und Schottland zu reisen. Mir persönlich wäre das natürlich Recht gewesen, um meine rudimentären Englischkenntnisse ein wenig auffrischen und erweitern zu können. Immer nur "Hey Baby" zu hören, ist auf die Dauer zu wenig für ein mögliches späteres Anglistikstudium. Dabei kommt mir der Gedanke, wie wäre es wohl, aus "Hey Baby" ein Lied zu machen - vielleicht ergänzt um die Ausrufe "Uh!" und "Ah!"? Präsentiert mit einer weißen gehäkelten Mütze auf dem Kopf, würde das bestimmt ein Chartbreaker werden " vor allem angesichts der immer jünger werdenden CD-Käuferschaft. Ich behalte die Idee mal im Hinterkopf und schreibe erst mal diese Kolumne weiter.

Wie-malt-man-denn-überhaupt-Diven?-Glen

Zurück also zu den Reiseplänen. Meiner Mutter, die ja bekanntermaßen als Englisch-Lehrerin ihr Geld verdient und bisher nur ein paar Tage Londonaufenthalt vorzuweisen hat, hätten ein paar Wochen Edinburgh und Dublin auch nicht schlecht in die Vita gepasst. Allein, Iren sind menschlich und das bedeutet für den Freund gälischen Lebens: Touristen sind ihnen lieb und vor allem teuer. Nach reiflicher Kalkulation sind meine Erzeuger daher zum Schluss gekommen, dass ein ähnlich langer Aufenthalt auf den Malediven nur günstiger sein kann. Von den höheren Wassertemperaturen mal ganz abgesehen. Und nach den Erfahrungen von Fuerteventura bevorzugt die Familie nun den sicheren Planschurlaub gegenüber einer Rundreise bei Regen.

Ergo werde ich meinen ersten Geburtstag nun auf einer kleinen Insel am nördlichen Außenriff des Lhaviyani-Atolls verbringen. Im übrigen hat das den Vorteil, dass ich nun doch meinem Ur-Opa zum 80sten Geburtstag persönlich gratulieren kann. Dass man dennoch längst nicht alles im Leben haben kann, musste mein Papa am Abend nach der Malediven-Buchung erfahren. Da rufen doch glatt irgendwelche Fernsehfuzzis an und wollen ihn in eine Quiz-Sendung einladen - wobei die Aufzeichnung natürlich genau dann geplant ist, wenn wir durch die Gegend schnorcheln. So kann´s gehen. Die Quiz-Gewinne hätten wir bestimmt gut für die Refinanzierung unseres Abenteuers im Indischen Ozean gebrauchen können.

Ich meld´ mich dann noch mal vor dem Kofferpacken.

Bis demnächst!

Glen


Born to be child.

Essen, 14. April 2004. Der Mai wird kommen, die Zähne schlagen aus. Meine Eltern lassen mich nicht mehr so ohne weiteres an ihren Fingern lutschen. Ich weiß halt auch nicht immer gleich, ob ich nun saugen oder beißen möchte. Also muss ich mich nach anderen bekaubaren Dingen umschauen, wie zum Beispiel CD-Hüllen, Schlümpfe oder Tischkanten. Sehr gerne beiße ich auch in den Griff meines Fahrradsitzes. Das ist ein besonderer Spaß, wenn mein Vater gerade über einen gepflasterten Weg fährt " ähnlich aufrüttelnd, wie ein Griff in die Steckdose.

Speed-Glen

Es sind schon wilde Zeiten, so kurz vor dem Abschluss des ersten Lebensjahres. Bei dem, was ich so alles erlaufen und erklettern will, kommt mein Gleichgewichtssinn nicht immer hinterher. Da macht es Sinn, dass meine Schädelknochen noch flexibel sind, wenn sie den intensiven Kontakt zum Parkettboden suchen. Auch beim Essen nehme ich keine Rücksicht mehr auf Konsistenz und Geschmack. Was meine Erzeuger futtern, kann auch für mich nicht schlecht sein " also immer her damit!

In anderen Dingen bin ich hingegen weiser geworden. Man muss nicht immer gleich alles zerstören, man kann auch mal vorher einen Turm aufbauen, soviel weiß ich schon. Und Laute lassen sich ordnen oder gar mit Motorik und Gestik kombinieren: Ein Fingerzeig mit dem Ausruf "Da!" kann Wunder wirken. "Mama", in Verbindung mit einem Gesichtsausdruck, der einen Weinkrampf andeutet, lässt Herzen erweichen. Schmatzen zieht eine zeitnahe Fütterung nach sich. Und so weiter. Auf diesem Gebiet lassen sich wirklich erstaunliche Dinge erforschen.

Meine nächsten Entdeckungen werden nun aber eher geographischer und biologischer Natur sein: Wo liegen die Malediven? Was ist ein Korallenriff? Wie salzig schmeckt der Indische Ozean? Fragen, denen ich mich auch an meinem ersten Geburtstag ausgiebig widmen kann. Eine große Feier ist nicht geplant. Mangels Torte und Kerze werden mir meine Eltern wohl nur einen Sandkuchen backen und wenn es hoch kommt, noch eine Palme anzünden. Vielleicht darf ich auch eine halbe Stunde länger aufbleiben und zusehen, wie Mama und Papa in der Bar mit einem All-Inclusive-Getränk auf mich anstoßen und dann in den Mai torkÖ, äh tanzen.

Soviel für heute. Wer noch etwas Gedrucktes braucht: Meine nächste Zeitungsgeschichte erscheint nun definitiv in der Juni-Ausgabe von "leben&erziehen", die am 12. Mai rauskommt.

Bis demnächst!

Glen


Keine Spuren im Sand.

Essen, 15. Mai 2004. So ist das also, wenn man Geburtstag hat: es regnet wie aus Kübeln (o.k., bei 34 Grad lässt sich das verkraften) und es überkommt einen eine gewisse Melancholie. Dieses auch "Geburtstagsdepression" genannte Phänomen sollte sich bei Männer eigentlich erst so mit Mitte 40 bemerkbar machen. Bei Frauen geht die Wissenschaft von einem Einstiegsalter bei 30 Jahren aus, wobei es nicht selten vorkommen soll, dass viele schon mit Mitte 20 Geburtstagsdepressionen bekommen, "weil es dann ja schon mit großen Schritten auf die 30 zugeht". Ich halte von derlei Diskussionen wenig und habe mir also schon zum 1. Geburtstag für etwa 12 Stunden mein Recht auf schlechte Laune genommen.

Langsam aber sicher krieg ich übrigens auch Papas Trick hin, beim Lachen auszusehen wie ein Chinese -- hoffentlich liest der das jetzt nicht, hinterher kriegt der Webmaster noch Ärger.

Vor dem 30. April war eigentlich alles in Butter und ab dem 1. Mai habe ich sogar begonnen, meine Füße in den Sand zu setzen. Daran war an den ersten Malediventagen nicht zu denken. Wenn man auf einer Insel urlaubt, die nichts anderes als sandigen Fortbewegungsuntergrund bietet, hat das natürlich Folgen. Die Bizepsmuskeln meiner Eltern sind sichtbar gewachsen, ihr Unmut über die ständige Schlepperei auch. Andererseits waren sie wiederum ganz froh über meine anfängliche Siliciumphobie. So konnte man mich am Strand einfach auf ein kleines Handtuch setzen und planschen gehen, ohne die Sorge haben zu müssen, ich würde mich irgendwohin fortbewegen.

Bevor jetzt gleich der Kinderschutzbund auf der Matte steht: Natürlich haben das meine treusorgenden Erzeuger nur am Abend gemacht, wenn sich die Sonne bereits dem Horizont näherte. Tagsüber war an ein Sonnenbad nicht zu denken. Wie wir Meteorologen wissen, hat die Sonnenstrahlung am Äquator " bezogen auf mitteleuropäische Verhältnisse " die fünffache Wirkung. Auf der Insel waren allerdings auch viele Nicht-Meteorologen anwesen " vornehmlich Briten und Schweizer " die sich, nichtsahnend oder einfach nur blöd wie sie sind, stundenlang in die Mittags- und Nachmittagssonne gelegt haben. Sie suchten das Karzinom und fanden erst einmal verbranntes Fleisch, dessen offene Stellen sie dann mit viel Sunblocker verspachtelten. Ich habe mir das von der Poolbar aus in meinem leichten Sommeranzug und unter meinem nackenschutzverstärkten Hut hervorblinzelnd mit einem wissenden Lächeln angesehen und denke nun daran, später einmal Hautarzt zu werden.

Seltsame Welt: ich bin gerade mal 1, aber meine Hand scheint schon kurz vor der Einschulung

Oder Pilot. Wenn wieder mal ein Wasserflugzeug im Begriff war zu landen, musste ich sofort an den Strand und mir das ansehen. Ich kann sogar schon das Motorengeräusch nachmachen (das von Booten übrigens auch, es klingt ähnlich). Wie ich überhaupt viel gelernt habe in den letzten Wochen. Auf Kuredu gab es zum Beispiel Indonesische Flughunde, von meinen Eltern mir gegenüber schlicht "Vogel" genannt, die wie riesige Fledermäuse aussehen. Dann gibt es dort Einsiedlerkrebse, die sich ganz entgegen ihres Namens mit ihren Muschelhäuschen abends zu großen Kolonien zusammenschließen und mit denen man prima Rennen veranstalten kann. Und schließlich habe ich im Urlaub erfahren, dass es auch für meinen Papa nicht so einfach ist, mit einem Schläger einen kleinen Ball zu treffen, um ihn in ein weit entferntes Loch zu versenken. Was das aber auch für einen Sinn machen soll, ist mir verborgen geblieben.

Den größten Fortschritt habe ich mir für zuhause aufgehoben. Einen Tag nach der Rückkehr von den Malediven habe ich begonnen, alleine zu laufen. Noch sind es nur vier, fünf Schritte von den ausgebreiteten Armen meiner Mama in die ausgebreiteten Arme meines Papas, und umgekehrt. Aber ich spüre, hier ist etwas im Gange, was man getrost "Freiheitsbewegung" nennen kann. Schon jetzt ist die von meinen Eltern am häufigsten an mich gerichtete Frage: "Wie bist Du denn da dran gekommen?" und ich bin sicher, demnächst wird es zusätzlich heißen: "Wie bist Du denn da hin gekommen?". In der Konsequenz dieser beiden Fragen wird die Verbarrikadierung von Küche und Büro sowie die Anschaffung eines neuen, leistungsfähigeren Staubsaugers stehen.

Davon dann demnächst mehr.

Es grüßt Glen


Mary Roos hat Ahnung

Essen, 12. Juni 2004. Rote Pocken, wohin man nur schaut. Bis zu 40 Grad Fieber mit dem dazugehörigen Gliederreißen. Innere Pusteln, die das Schlucken zur Qual machen und so ziemlich jedes Organ schmerzen lassen. Da habe ich ja noch mal Glück gehabt, dass mich Mama nicht angesteckt hat. Wobei mir die Windpocken " so erfuhr ich von mehreren Spezialisten " wahrscheinlich weniger zugesetzt hätten. Selten habe ich Mama so lange und so faul auf dem Sofa oder im Bett liegen sehen.

Bevor es so richtig öde wurde und mir der Alte als Vollzeit-Papa auf die Nerven zu gehen versuchte, habe ich beschlossen, die Sache mit der Fortbewegung selbst in die Hand zu nehmen. Gut, die ein oder andere Beule muss ich wohl in Kauf nehmen. Aber hätte ich vorher gewusst, dass das Laufen ohne den kleinen Finger meiner Eltern meinem Freiheitsdrang wesentlich entgegen kommt " ich hätte schon während der Schwangerschaft geübt und wäre direkt aus dem Kreissaal getapert.

"Aufrecht gehn
aufrecht gehn
ich habe endlich gelernt
wenn ich fall
aufzustehn.
Mit Stolz in meinen Augen und trotz Tränen im Gesicht -
aufrecht gehn durch die Nacht ins Licht."

(Mary Roos erreichte mit diesem authentischen Refrain-Text beim Grand Prix 1984 in Luxemburg einen ausbaufähigen 13. Platz.)

Was mir auffällt: Seit ich alleine durch die Wohnung flaniere, wird diese immer leerer. Wo einst der Teewagen mit den vielen lustig machenden Flaschen stand, kann ich jetzt mit meinem Real Madrid-Ball Pässe in den freien Raum üben. Und auch sonst sind viele interessante Einrichtungsgegenstände und einiger Nippes aus meinem Blick- und Greiffeld verschwunden. Ob meine Eltern pleite sind und alles bei ebay verramschen müssen? Haben sie den ganzen Cognac und Whisky aus Frust weggesoffen?

Manchmal greife ich aus lauter Verzweiflung " weil kaum noch was anderes da und auch die Küchentür mal wieder verschlossen ist " zu einem Buch. Mein Vater sagt dann: "Von mir hat er das nicht!" Mein Lieblingsbuch, "Die gute Kuh", lese ich häufig von hinten nach vorne. Ein vorausschauendes Moment in meiner Ausbildungskarriere, da ich möglicherweise später mal Arabisch studiere. Auch wenn man so etwas nicht in den üblichen Stellenanzeigen überregionaler Tageszeitungen findet: solche Leute werden von einigen Organisationen händeringend gesucht und dürfen viel im Ausland umherreisen. Das würde mir gefallen.

Glen Rooß


Vorerst muss ich mich jetzt aber auf den Super-Sport-Sommer konzentrieren. Erst Fußball-EM " mit dem Nachstellen der wichtigsten Spielszenen. Dann Tour de France " mit dem Nachfahren der wichtigsten Streckenabschnitte (wobei 2% Steigung für Papa schon eine Bergwertung bedeuten). Und schließlich natürlich Olympia " mit dem Nachbauen der größten griechischen Baustellen im Sandkasten um die Ecke.

Ich melde mich dann nächstes Mal aus dem Trainingslager. Bis die Tage!
Glen


Free Download: Tschaikowsky

Essen, 18. Juli 2004. Der schwarze Balken hat mich wieder erwischt. Das Ding fährt langsam auf mich zu, drückt mir auf die Nase und fährt, während ich auf meinem windelgepolsterten Hintern falle, direkt wieder dahin, wo es hergekommen ist. Ganz klar: ich habe am CD-Player mal wieder den "play"- mit dem "open"-Knopf verwechselt. Es gibt noch viel zu lernen.

Immerhin weiß ich schon, dass dieses Ding Musik macht, zu der ich dann die Hüften kreisen lassen oder den Kopf schütteln kann. Oder ich praktiziere LSD für Babys, drehe mich einfach um meine eigene Achse bis ich schwindelig bin und völlig unkontrolliert nach kurzen Zwischenstopps am Regal und/oder am Tischbein auf dem Stäbchenparkett lande. Rock ´n Roll!

Bei der Musikauswahl lassen mir meine Eltern leider wenig freie Hand. Die CDs lagern auf einer Höhe, die ich wohl erst im Grundschulalter erreiche. Auf die Schallplatten habe ich zwar direkten Zugriff, bin allerdings vom Familienvorstand angehalten worden, meinen Musikdownload aus Billy auf eine alte Paul McCartney-Scheibe und dem Nussknacker von Tschaikowsky zu begrenzen. Um des lieben Frieden willen halte ich mich auch meistens daran.

Lieber Kinderschutzbund, liebes Jugendamt, liebe Denunzianten: dieses Foto ist nur gestellt.

Ärger gibt es schon genug auf der Welt. Das habe ich neulich auf dem Spielplatz erleben dürfen. Mein Stammspielplatz ist in der Regel sehr gut besucht. Ich nehme erst gar keine Sachen mit zum Spielplatz, sondern bediene mich an dem, was so rum liegt " bis irgendwer anfängt zu heulen. Das geht natürlich nur so lange auch die anderen etwas mitbringen. Um Missverständnisse zu vermeiden, ist es Mode geworden, dass Eltern mit schwarzem Edding den Namen ihres Sprösslings auf die von ihnen käuflich erworbenen Spielsachen schreiben. Damit auch ja niemand versehentlich zwei Eimer mit nach Hause nimmt und man zum Beispiel bei Streitigkeiten um einen Bagger diesen gleich dem richtigen Besitzer zuordnen kann.

In Zeiten wie diesen ist das Harmoniebedürfnis unter den Mitbürgern sehr hoch. Trotz der beschriebenen Sicherheitsvorkehrungen ist es dann doch zu einer handfesten Auseinandersetzung gekommen, die ich schaukelnd aus sicherer Entfernung beobachten konnte. Zunächst kriegten sich nur zwei Jungs wegen einer gelben Schaufel in die Wolle, aber schnell gesellten sich noch drei weitere dazu. Unter Einsatz von Sandwurf und ungeschnittenen Fingernägeln versuchte jeder, die Schaufel in seinen alleinigen Besitz zu bekommen. Hatte ein Junge die begehrte Trophäe tatsächlich einmal für Sekundenbruchteile alleine in der Hand, prügelte er sogleich damit auf seine Mitstreiter ein. Aber damit nicht genug. Die jungen Mütter der Streithähne gesellten sich bald dazu und wollten schlichten, was sehr schnell dazu führte, dass sie sich gegenseitig an den Haaren zogen. Irgendwann fanden die Jungs aus meiner Peer Group das wesentlich interessanter als den eigenen Streit, legten die Schaufel beiseite, setzten sich nebeneinander auf den Sandkastensims und verfolgten gebannt den weiteren Verlauf. Jetzt hatte ich endlich Gelegenheit zu lesen, was auf der Schaufel stand: "Paul". Mein Tipp deshalb an alle Liebhaber von Modenamen und Toys´r´Us-Sonderangeboten: Einfach auch den Nachnamen mit auf´s Spielzeug schreiben. Das ist besser für die Frisur.

Peace! Glen


Krümel-Monster und die fremd gehenden Weiber

Essen, 11. September 2004. Adolf Hitler " das ist jetzt vielleicht kein guter Einstieg für eine unterhaltsame Geschichte aber gut genug, um von vielen Leuten bei Google gefunden zu werden " hat in seinen letzten Tagen jeden Krümel Kuchen verschlungen, der noch im Bunker zu finden war. "Sein Heißhunger auf Kuchen war geradezu krankhaft geworden", weiß der von mir geschätzte Historiker Joachim Fest in der BILD-Zeitung zu berichten. Das hat mich nachdenklich gemacht. Werde ich ein schlechter Mensch, weil ich den ganzen Tag nur Muffins und Magdalenas essen könnte? Und dann ist da noch mein errechneter Geburtstermin: 20. April! Dass meine Niederkunft schließlich auf den Todestag des Krümelmonsters fiel, beruhigt bedingt.

Glen erklärt die Welt Teil 2: Grundzüge des industriellen Transportwesens

Auf meinem Informationskreuzzug bin ich dann noch über eine Fernsehdokumentation gestolpert, die sich mit der Frage beschäftigte, wie und warum sich Eltern um ihre Kinder kümmern. Da wir ja bekanntlich alle mehr oder weniger vom Affen abstammen, haben sich Wissenschaftler bestimmter Primatenarten angenommen, um Rückschlüsse auf menschliche Verhaltensmuster ziehen zu können. Auffallend war dabei, dass sich Väter mehr um ihren Nachwuchs kümmern, je sicherer sie sich sind, dass die kleinen Racker auch tatsächlich ihr eigen Fleisch und Blut sind. Übertragen auf die Menschen kann es also nur eine Folgerung geben: Wenn Papi sich in Arbeit vergräbt und die Kindererziehung auf das abendliche Vorlesen der Gute-Nacht-Geschichte beschränkt, heißt das nicht, dass er was mit seiner Sekretärin hat, im Gegenteil: Mutti ist mit fast hundertprozentiger Sicherheit fremd gegangen.

Mein Papa hat übrigens weder eine Sekretärin, noch geht er arbeiten. Dafür hat er gerade einen olympischen Fernsehmarathon mit 301 Disziplinen hinter sich gebracht. Seine Um-Glen-Kümmer-Quote lag entsprechend niedriger als im langjährigen Mittel, auch wenn die Zeit zwischendurch noch zum Besuch des Eisenbahnmuseums in Bochum reichte. Viel habe ich von Athen nicht mitbekommen, aber eines kann ich bestätigen: Nichts ist so sauber wie der deutsche Sport. Alleine ich gebe täglich bis zu fünf Dopingproben ab und bin immer negativ getestet worden. Und noch etwas habe ich gelernt: Sobald ich Taschengeld bekomme, werde ich von einer Sängerin " egal wie viele Schicksalsschläge sie noch ereilen werden - niemals eine CD kaufen: Anastacia. Wer während der Spiele regelmäßig ZDF geguckt hat, wird mich vielleicht verstehen.

Bleiben noch drei Fragen: Darf man an einem Tag wie diesem eigentlich eine fröhliche Geschichte schreiben? Darf man an so einem Tag gar Türme bauen und sie dann wieder umschmeißen? Und überhaupt: Wo bleibt eigentlich mein Blaubeer-Muffin?

Mahlzeit!

Glen


China dopt!

Essen, 31. August 2004. Falls es jemandem noch nicht aufgefallen sein sollte: unter meinen gleichaltrigen Freunden gelte ich als unangefochtener Spanien-Kenner. Ich sah die fruchtbare Symbiose aus Land und Meer im herbstlichen Galizien, erlebte das rentnerleibkonservierende Winterklima auf Fuerteventura und schließlich lernte ich nun auch die lebensverneinende Seite der iberischen Halbinsel kennen: Andalusien. Oder besser, einen kleinen Teil davon. Genauer gesagt ist es ein Campingplatz mit Schotterstrand, umgeben von Pestizid-triefenden Paprikaplantagen in der Nähe der Wüste von Almeria (wo einst der erfolgreichste deutsche Kinofilm gedreht wurde).

Kenner dieses Fleckchens Apokalypse sind immer wieder vom dreckigen Charme des Morbiden fasziniert. Für andere zählen vor allem die günstigen Getränkepreise, die nur noch durch eine kostenlose Verköstigungsbeilage getoppt wird. Für mich war es schlicht ein einziger Streichelzoo mit Gänsen, Katzen, Hunden, Pferden und Kakerlaken, mit denen man prima um die Wette laufen konnte. In diesem Umfeld haben mich meine Eltern also " ich deutete dies bereits in einer anderen Kolumne an - äh, gebacken. Wie man mit einem Iglu-Zelt auf einem staubig heißen Platz mit Millionen Fliegen romantisch werden kann, bleibt mir allerdings vorerst ein Rätsel. Denn leider war die Kennenlernwoche sehr schnell um. Mein einziges spanisches Wort, das ich in der kurzen Reisezeit lernen konnte, blieb daher "Tapa".

Glen erklärt die Welt Teil 1: Elementare Tierkunde

Dies ist jedoch um so erstaunlicher, da ich muttersprachlich " bis auf die Tapa-verwandten Begriffe "Mama" und "Papa" - nur einsilbige Worte drauf habe. "Ba" heißt der Ball, "Na" ist die Nase und der Hund macht "Wa". Erstens reicht das schon, um meine Eltern begeistern zu können und zweitens werden meine Wünsche auch sehr schnell nach nonverbalen Zeichen umgesetzt. Wozu sich also weitere Mühe geben? Hier weiß der Chinese Rat. Heute habe ich bei ihm meinen ersten Glückskeks bekommen. Mit folgender Botschaft:

"Total energy and great perspectives. With perseverance you´ll make it."

Ich glaube, dass mich in Athen mindestens 10.500 Leute um diesen Glückskeks beneidet hätten. Super Aussichten " wenn die Ausdauer stimmt. Mein Vater war so verblüfft wie ich. Trotzdem gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen ihm um mir: für ihn kommt die Erkenntnis zu spät.

Viel Spaß jetzt erstmal mit den wiederentdeckten Randsportarten und bis demnächst!

Glen


Boing, Boom, Tschak

Essen, 9. Oktober 2004. Es gibt da etwas, von dem ich mir nicht ganz sicher bin, ob es für die Familie jetzt aufregend, spannend und ein Segen oder aufregend, spannend und ein Fluch ist. Jedenfalls haben es meine Eltern ins Haus gebracht und keiner kann sagen, "Das haben wir so nicht gewollt". Manchmal ist "es" auch für Tage verschwunden, aber wenn der große, dicke Flummi dann wieder auftaucht, geht die ganze Hysterie von vorne los.

Um genau zu sein, war die Anschaffung des Flummis eine Idee meines Papas, die er nicht nur mit 2,15 Euro bezahlt hat " und dabei ganz nebenbei zur Erhaltung einer kleinen Karstadt-Filiale beitrug " sondern seitdem auch mit viel Angstschweiß. Am Anfang lag Papa noch tränenüberströmt " vor Lachen " auf dem Boden, wenn ich den Flummi auf eine unkontrollierte Umlaufbahn geschleudert habe. Die Tränen sind dann ganz schnell getrocknet, als das erste Bild von der Wand fiel und Mama diesen "Euch-ist-echt-nicht-mehr-zu-helfen"-Blick aufsetzte.

Viele Leser werden an dieser Stelle aufhorchen und sich fragen: "Seit wann haben die denn Bilder an der Wand?". In der Tat erzählt man sich ja heute noch in Köln-Nippes über meine Eltern, dass sie vermutlich einer neuen Terroristen-Generation angehörten " so auffällig leer war ihre Wohnung, die den Charme einer konspirativen Anmietung der zweiten RAF-Generation hatte. Jetzt, in Essen, ist es aber tatsächlich so, dass die Wohnung nach und nach auch als solche erkennbar wird und mit der Zeit immer mehr Bilder an der Wand hängen. Oder manchmal eben auch weniger, wenn ich den Flummi wieder gefunden habe.

Nicht-weit-vom-Stamm-Glen

Mein großer Traum ist es, den Flummi mal mit in die Turnhalle bringen zu dürfen. Das Schwimmen habe ich ja noch vor dem Erwerb des Seepferdchen-Abzeichens aufgegeben und nun treffe ich mich mit etwa 20 Gleichgesinnten jeden Freitag zum Turnen. Hier liegt allerdings auch das Problem. 20 Gleichgesinnte bedeuten auch 20 potenzielle Flummi-Opfer. Wobei es bei manchen auf den ein oder anderen blauen Fleck mehr auch nicht ankommen sollte. Lukas hatte letzte Woche davon ungefähr ein halbes Dutzend alleine am Kopf. Von den Beulen ganz zu schweigen. Er ist eine Treppe herunter gefallen. Wie viele Stufen, konnte seine Mutter nicht sagen, weil sie dummerweise "eine Sekunde lang" nicht auf ihn aufgepasst hatte.

Nachdem sie die Geschichte allen anwesenden Turnern und Erziehungsberechtigten erzählt hat, begann Lukas Mutter dann mit dem Austeilen von Flugblättern, auf denen sie für die Gründung einer Spielgruppe warb " unter ihrer Leitung. Marketingtechnisch habe ich das für einen sehr schlechten Zeitpunkt gehalten und das Interesse bewegte sich auch wohl gegen Null. Insgesamt hatte die Aktion also ungefähr so viel Sinn, wie jede einzelne Handlung eines 17 Monate alten Kindes zu hinterfragen oder darauf zu hoffen, dass ein Schlabberlätzchen nach dem Verzehr von Möhrengemüse jemals wieder sauber zu kriegen ist.

Zum Schluss noch was zum Thema Musik. Zwei Floskeln haben mich im letzten Monat bewegt. Die eine habe ich gehört, als Bryan Adams neulich vor irgendwelchen kreischenden Teenies seine neue Platte präsentiert hat: "Dass ein Musiker sein Alterswerk begonnen hat, erkennt man daran, dass er plötzlich die Mundharmonika zückt". Die zweite habe ich mir selbst hart erarbeitet: "Ich tanze auch zu "Tour de France", aber die alten Kraftwerk-Sachen finde ich noch besser". In diesem Sinne, viel Spaß beim weiteren Altern!

Es grüßt

Glen


Der Sinn des Gebens

Essen, 23. November 2004. So sieht also der schlimmste aller Monate aus. Wobei man ja eigentlich so gut wie nichts sieht. Entweder ist es dunkel, weil die Sonne sich jahreszeitenbedingt auf die Südhalbkugel konzentriert oder es ist dunkel, weil sich das Wetter nicht zwischen leichtem Regen und ergiebigen Schauern entscheiden kann, wohl aber in jedem Fall für eine schwarze, geschlossene Wolkendecke. Und wenn dem November nach Abwechslung dünkt, schneit es für ein paar Minuten " manchmal sogar bis in die tiefsten Ebenen des Musikantenstadls.

Schlechte Zeiten auch für alle Freiluft-Cruiser. Ich bin ja nun endlich 18 und habe mir gleich mal ein gebrauchtes Bobby Car zugelegt, im individualistenfreundlichen Blauton und mit einer elternfreundlichen, weil funktionsuntüchtigen Hupe. Leider hat es keine Winterreifen und so bin ich auf einen Rundkurs im Wohnzimmer festgelegt. Immerhin, Dank fehlender Schalldämpfung im Parkettboden gebe ich wenigstens etwas von meinem Fahrspaß an unsere Nachbarn weiter.

Wiedergeborener Glen im Zoo. Menschenhaus.

Laut weit verbreiteter religiöser These ist Geben ja seliger denn Nehmen. Mir ist das mit dem selig allerdings zu jenseitig. Da sich meine Welt noch ziemlich auf die 30 Sekunden rund um das Jetzt konzentriert, liegt mein Hauptaugenmerk " abgesehen von der beschriebenen Wiedergabe von Lärm " auf dem Nehmen. Und wenn das nicht funktioniert, kulminiert mein Wille zur Besitzerweiterung in dem Wort: Daben. Es handelt sich dabei um eine kühne Verschmelzung von "Das" und "haben", der ein angehängtes "wollen" inhärent ist.

Auf diese Weise komme ich ohne Verluste doch recht schnell zum Ziel, wohingegen Millionen Erwachsene in freudiger Erwartung auf eine Gegenleistung sogar etwas abgeben " zum Beispiel ihre Stimme bei einer US-Wahl " und am Ende stehen sie vor dem Nichts. Komischerweise erinnert mich das nun wiederum an meinen Besuch im Affenhaus des Kölner Zoos. Dort macht es eine meiner nächsten Verwandten besser. Eine der Orang-Utan-Damen gibt immer nur das, was sie hinterher auch wieder kriegt. Und das ist ihr Essen. Alle fünf Minuten erbricht sie ihr Frühstück, um es dann wieder mit spitzem Mund vom Boden aufzusaugen. Faszinierend, so ein Blick in den Modell-Alltag.

Und beim Thema Modell komme ich schließlich noch einmal zum schon erwähnten Nichts zurück. George W. Bush ist ja bekanntlich ein sehr gläubiger Christ und hält sich für wiedergeboren. Aber wie lange dauert es bis man wiedergeboren wird? Nicht mal einen Tag? Ich mein´ ja nur, weil am 11. November gegen 3 Uhr morgens Jassir Arafat gestorben ist und wenige Stunden später Claudia Schiffer ihr zweites Kind auf die Welt gebracht hat. Müssen wir fürchten, dass sich in sechzehn Jahren ein Nachwuchsmodell auf dem Laufsteg einer gut besuchten Modeschau selbst in die Luft jagt? Wäre in diesem Fall nicht ein Präventivschlag angemessen? Meine abstrusen Thesen, äh, stichhaltigen Indizien sind sicherlich Beweis genug für die drohende Gefahr. Mr. President, übernehmen Sie! Und falls Sie die nächsten vier Jahre nicht dazu kommen, weil Sie sich noch um den Rest der bösen Achse kümmern müssen, keine Sorge: Arnie ist auch schon informiert.

Hasta luego!
Glen


Geschenkt ist nicht zu teuer

Essen, 5. Dezember 2004. Samstag vormittags ist die billigste Zeit der Woche. Papa fährt dann immer mit mir zum Markt. Ohne zu viel verraten zu wollen: Es gibt vorher nur ein ganz leichtes Frühstück. Erster Halt auf der Markttour ist die Bäckerei. Das bedeutet ein biodynamisches Vollkornbrot für meine Erziehungsberechtigten zum Preis von 2,49 Euro und einen großen Keks für mich umsonst. Wenn der dann verspeist ist, brauche ich etwas fruchtiges.

Es dauert auch nicht lange bis der Markt erreicht ist. Während Papa Kartoffeln ordert, schmettere ich mit einem breiten Strahlen dem Obst- und Gemüseverkäufer ein "Hallo!" entgegen. Umgehend landen ein paar ungespritzte Weintrauben in meinen Händen. Da der Einkauf ein wenig länger dauert und die Trauben in sekundenschnelle verputzt sind, kommt schon bald darauf ein Nachschlag in Form von einem halben Dutzend Apfelscheiben.

Nach dieser kostenlosen Vitaminkur steht mir der Sinn nach herzhaftem. Da fügt es sich gut an, dass wir auf dem Rückweg beim Metzger reinschauen. Ein Kind, das da ohne Wurstscheibe rauskommt, ist so selten wie ein guter Film mit Nicholas Cage. Schnell das "Euch würde ich auch als Eltern akzeptieren"-Lächeln aufgesetzt und sofort kommt die Frage: "Darf er schon eine Scheibe Wurst bekommen?" Für einen Augenblick mache ich mir Sorgen: Sag jetzt bloß nichts falsches, Papa! Aber dann steckt die Geflügelfleischwurst auch schon in meinem Mund. Oder besser gesagt, ein kleiner Zipfel davon. Denn der dargereichte Kanten reicht eigentlich für drei deftige Eintöpfe zur Fütterung einer Großfamilie. Wenn ich diese Fleischmasse in den Händen halte, wird mir auch immer gleich klar, wie es dazu kam, dass die weiblichen Bedienungskräfte der Metzgerei quasi hinter der Wursttheke festklemmen.

Formel Glen.

Zum Nachtisch fahren wir schließlich noch am Kiosk vorbei. Zwei Gratis-Weingummis sind da immer drin " wenn Sie da ist. Wenn Er da ist, gibt es nichts. Aber dafür muss ich mich dann auch nicht knuddeln lassen und mir anhören, wie niedlich und intelligent die eigene kleine Tochter ist. Soll das eigentlich ein Kuppel-Versuch sein? So oder so fällt das Mittagessen aus und bis zum Abendbrot bekomme ich höchstens noch einen Brauselutscher herunter, den mir unsere Nachbarin immer zusteckt, wenn wir nach Hause kommen und sie ganz zufällig gerade einfach mal so ihre Haustür von außen betrachten will.

Hinter mir fällt demnächst auch für einige Zeit die Haustür zu. Papa und ich " und gegebenenfalls ein paar Millionen Heuschrecken - machen eine Woche Männerurlaub auf Fuerteventura. Mama weiß noch nicht so recht, was sie davon halten soll. Für eine Meinungsendbildung ist es allerdings sowieso schon zu spät. Meine Meinung steht fest: Urlaub ist dufte " und bis zum Alter von zwei Jahren auch umsonst.

Euch schon mal ein schönes Weihnachtsfest, einen guten Rutsch und mehr Floskeln fallen mir auch nicht ein.

Bis 2005!
Glen

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