Kühe vor Karstadt

Das geht ja gut los. Ich bin gerade mal fünf Monate alt und habe schon einen Jahrhundertsommer hinter mir. Gut für meine Eltern, die ohnehin keinen Urlaub geplant hatten. Schlecht für mich, denn so war Zeit für einen sechswöchigen Babymassage-Kurs. Ich bin ja nun wirklich nicht prüde und habe ein gesundes Körperbewusstsein. Aber was da jeden Dienstag drei Stunden lang abgegangen ist, war einfach zu viel. Mit sechs anderen nackigen Kindern lag ich im Hebammenladen auf dem Boden und wurde von Kopf bis Fuß durchgekitzelt. Anthroposophen nennen das Babymassage. Ich nenne das Terror. Entsprechend neue Tonlagen habe ich auf meinen Stimmbändern gefunden und damit etwa ein Dutzend Trommelfelle massiert. Die Ober-Terroristin fragte meine Mama nach drei Minuten Daueralarm, ob sie nicht einen Schnuller für mich hätte. Als ob der mich hätte beruhigen können!

Schuld ist natürlich ein Franzose. Ein Arzt namens Frédérick Leboyer hat sich diese Foltermethode zwar nicht selbst ausgedacht, aber immerhin hat er sie von indischen Müttern abgeguckt und nach Europa importiert. Dabei ist doch nun wirklich jedem klar, dass nicht alles, was in Indien funktioniert auch in Europa Anklang findet. Ich weiß zum Beispiel von vielen Rockstars, die auf dem Subkontinent ihr Karma suchten, zurück in Europa oder Amerika von vielen Leuten schräg angeguckt wurden. Oder, vielleicht noch einleuchtender: Wenn Sie durch die Fußgängerzonen Deutschlands laufen, wie viele Kühe sind Ihnen dabei schon frei laufend entgegen gekommen?

Babymassage-fällt-heute-aus-Glen

Ich habe neulich mal eine Liste mit meinen schlimmsten Erfahrungen gemacht und „Babymassage“ führt die Tabelle mit weitem Abstand vor „Bauchlage“ an. Ich denke, meiner Mama geht es ähnlich. Die musste sich nämlich zu jeder Foltersitzung zwei komplette Garnituren mitbringen, weil ich mich spätestens bei der Diagonalmassage nicht mehr mit dem Schreien begnügt habe, sondern auch sonst alles aus meinem Körper herausgeholt habe. Meine Freunde, die Anthroposophen, würden vielleicht sagen, dass ich mein Innerstes nach außen gekehrt habe.

Einmal jedoch habe ich alles mit mir machen lassen und war dabei ganz friedlich. Es war das letzte Treffen, wie mir Papa vor dem Abmarsch noch ins Ohr flüsterte. Ich spielte das glücklichste Baby der Welt und ertrug jede „Streicheleinheit“ mit einem Lächeln. Ein großer Fehler! Denn alle dachten, ich hätte meinen Frieden mit der Esoterik gemacht und so beschlossen sieben enthusiastische Mütter, eine Krabbelgruppe zu gründen. Das bedeutet wohl Bauchlage bis zum Abwinken. Ob es noch schlimmer kommen kann? Ein Trauma werde ich jedenfalls Dank Herrn Leboyer wohl nie wieder los: Wenn ich auch nur ein einziges französisches Wort höre, verliere ich sofort die Contenance.

Glen Roß
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